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Judith Hermann: Alice Dezember 28, 2010

Filed under: Romane — kikeriki @ 11:35 am

Alice ist Judith Hermanns dritte Veröffentlichung – und wie ich gelesen habe 10 Jahre nach ihrem hochgelobten Erstling  „Sommerhaus, später“ (ist das wirklich schon 10 Jahre her?) erschienen. Alice ist ein Roman in fünf Geschichten. Und in jeder der Geschichten geht es um Sterben und Abschiednehmen. dabei sterben grundsätzlich die Männer um Alice, der Protagonistin des Buches: Ihre Freunde, Ex-Freunde, Onkel.

Auch wenn das Thema eher „schwer“ ist: Judith Hermanns reduzierte Sprache, mit der sie Stimmungen so wunderbar zeichnet, ist ein Genuss. Absolut lesenswert.

Alice von Judith Hermann

Alice von Judith Hermann

 

 

 

Eshkol Nevo – Wir haben noch das ganze Leben Dezember 26, 2010

Filed under: Romane — hilpirella @ 10:00 pm
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Juval, Amichai, Joav und Ofir sind vier junge Männer Anfang Dreißig aus Haifa, die sich seit der Schulzeit kennen und die es geschafft haben, trotz ihrer Unterschiedlichkeit Freunde zu bleiben und sich nicht aus den Augen zu verlieren.

Man fragt sich auf den ersten Blick, was die Vier zusammenhält: Juval (der die Geschichte über die Freundschaft aufschreibt) ist wortkarg, orientierungslos und depressiv, Amichai hat sehr früh seine „elegische Ilana“ geheiratet und Zwillinge bekommen, Ofir ist als Creative Director in einer Werbeagentur auch privat ein Aufschneider und Joav ist ein karrieregeiler Jurist und der Typ, der schon immer alle Frauen abbekommen hat, während die anderen drei an der Wand lehnten und staunten.

Ein verbindendes Element – für die Freundschaft sowie für den Roman – ist der Fußball. Die vier Protagonisten erleben 1998 bereits ihre vierte gemeinsame WM, während der sie die Idee haben, jeder möge drei Wünsche auf ein Blatt Papier schreiben, um zu sehen, wie sich das Leben bis zur nächsten WM entwickelt.

Und so dürfen wir Leser vier Jahre lang (und in Rückblicken auch in der Zeit davor) dabei sein, in denen Schicksalsschläge hereinbrechen, Liebe kommt und geht, in die zweite Intifada ausbricht und sich Israel wieder nicht für die WM qualifiziert.

Diese vier Jungs wachsen einem ans Herz, ich kann dieses Buch nur wärmstens empfehlen!

 

Herman Melville – Taipi Dezember 5, 2010

Filed under: Romane — themaktima @ 6:49 pm
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„Taipi“ ist ein vielleicht etwas ungewöhnlicher Lesetipp. Es ist der erste Roman von Herman Melville, der durch sein Werk „Moby Dick“ Weltruhm erlangt hat (von dem übrigens zu Lebzeiten Melvilles laut Wikipedia gerade mal 3000 Exemplare verkauft wurden). Melville war erst 26 Jahre alt, als er diesen Südseeroman schrieb.

„Taipi“ klingt romantisch, ist aber der Name eines Kannibalenstamms auf den Marquesa-Inseln der Südsee des Jahres 1842. Der Matrose Tom desertiert mit einem Kumpanen von dem in der Bucht liegenden Walfänger und gerät prompt in die Fänge eines der ansässigen Eingeborenenstämme; während seines Aufenthalts kann er sich zwar frei bewegen und auch sonst alle Vorzüge des Lebens in Harmonie mit der Natur erfahren, ist aber dennoch Gefangener und ständig in Sorge, letzten Endes doch noch im Bräter zu landen. Melville entführt uns in ein Südseeparadies, in dem die Welt noch in Ordnung ist – von ein paar harmlosen Scharmützeln mit den Nachbarstämmen und der einen oder anderen obligatorischen Schrumpfkopfproduktion abgesehen. Er verkneift es sich dabei nicht, gesellschafts- und kirchenkritische Kommentare unterzubringen, denn Melville verarbeitet hier eigene Erlebnisse und ist sich gewiss, dass Imperialismus und missionarischer Eifer auch die weitgehend unberührten Lebensgemeinschaften der Marquesas ins Verderben stürzen werden (und behielt leider Recht).

Dieses Buch ist sicher nicht jedermanns Sache; natürlich ist die Art, zu erzählen, antiquiert. Ich stelle es trotzdem vor, denn die „Entdeckungsfahrten im Pazifik: Die Logbücher der Reisen 1768-1779“ von James Cook zählt zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, und wer derlei Bücher mag, wird auch „Taipi“ einiges abgewinnen können.


 

Juli Zeh – Corpus Delicti

Filed under: Krimis,Romane — themaktima @ 2:05 pm
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Nach einiger Zeit mal wieder ein Buch, das richtig polarisiert. Es gibt zu „Corpus Delicti“ wirklich kluge Rezensionen bei amazon; also so klug kann ich das, was mir beim Lesen durch den Kopf ging, überhaupt nicht formulieren. Darum seid aufgefordert, Euch einfach mal das lebhafte Pro und Contra in den (teilweise politisch motivierten) Kundenkommentaren anzuschauen. Es ist offensichtlich, dass Juli Zeh mit diesem Roman einen Nerv getroffen hat.

Corpus Delicti ist eine Dystopie (ok, vielleicht sieht das Philipp Rösler ja anders), in der die Gesundheit des Menschen zum höchsten Gut erhoben ist und ein allmächtiger Staat durch hundertprozentige Kontrolle über das Wohl seiner Bürger wacht. Mia führt darin ein reichlich angepasstes Leben, gerät dann aber durch den Tod ihres revolutionären Bruders ungewollt ins Fadenkreuz des Staatsschutzes und der gleichgeschalteten Medien.

Frappierend ist nicht die Geschichte selber, sondern ihr erstaunlicher Realitäts- und Gegenwartsbezug. Gesundheit? Finden wir gut. Inwieweit sind wir bereit, uns für ein möglichst langes Leben ohne Schmerzen unterzuordnen? Zehs Antwort: Komplett.

Der Roman ist jedenfalls spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Ich finde zwar, dass Juli Zeh ihre Message etwas zu oft und zu plakativ in den Mittelpunkt der Story rückt, muss jedoch zugeben, wieder mal erschrocken zu sein angesichts der Erkenntnis, wie viele Puzzleteile für eine Welt, wie sie in Corpus Delicti gezeichnet wird, bereits auf dem Tisch liegen.